Es zieht sich über etliche Monate. Unbarmherzig und quälend. Immer wieder Hoffnung. Ah, endlich kommen sie wieder. Endlich wieder so etwas wie eine Frisur. Endlich wieder wohlfühlen und frei sein. Und gleichzeitig die bange Frage, ob sie wohl diesmal für immer bleiben. Und eh ich mich versehe beginnt alles wieder von vorn. Enttäuschung. Frust. Wut. Unverständnis. Was mache ich bloß falsch? Was soll ich denn noch alles versuchen? Esse ich immer noch die falschen Lebensmittel? Ist mein Darm noch nicht genug saniert? Führe ich meinem Körper immer noch zu viel Plastik und Weichmacher zu? Reicht all die Mühe in Bezug auf persönliche Weiterentwicklung noch nicht aus? Habe ich noch nicht ausreichend Dämonen besiegt?
Zur Abwechslung dann mal Rebellion. Ist doch egal, dann sind sie halt weg. Dann brauche ich wenigstens nicht mehr so viel Kosmetika. Das spart auch Geld. Und Zeit. Und Mühe. Die Welt muss mich eben nehmen wie ich bin. Ich übrigens auch, aber das schau ich mir lieber nicht an. Noch nicht. Das dauert noch, bis ich das kann.
Bei allem Drama gibt es auch leichte Momente. Dann schimmert ehrliche Akzeptanz durch. Und das tiefe Wissen, dass ich im Kern meines Wesens nicht meine Haare bin. Das es tatsächlich keinen Unterschied macht, ob sie da sind oder nicht. Das es eigentlich sogar für mein Frau-Sein keine Relevanz hat.
Eigentlich. Im täglichen Leben fühlt es sich doch oft anders an. Vom Verstand her weiß ich zwar, dass das Bild der Frauen, wie die Medien es uns präsentieren, nicht der Realität entspricht. Schon längst habe ich aufgehört diesem Bild nachzueifern. Keine Modelmaße? So what? Morgens direkt nach dem Aufwachen nicht wie aus dem Ei gepellt aussehen? I don’t care! Damit habe ich meinen Frieden.
Und trotzdem ist es mit den Haaren anders. Ich habe nicht die Wahl. Ich habe mir nicht ausgesucht auf das mediale Bild der perfekt aussehenden Frau zu pfeifen und aus Protest meine Haare abzuwerfen. Das ist ein Schritt weiter als ich gehen wollte. Ein Schritt zu viel. Und es ist so endgültig.
Zehn Jahre lang begleitet mich dieses Thema bereits. Aktuell habe ich den vierten Schub. Ich schätze, dass derzeit gut zwei Drittel meiner Kopfhaare weg sind. Die Augenbrauen sind es schon längst. Die Wimpern werden dünner. Der Schwung ist weg. Was habe ich früher meinen Wimpernschwung geliebt.
Es bleibt das Gefühl, die Haare nicht ausreichend wertgeschätzt und genossen zu haben. Ich fühle mich schlecht, wenn ich daran denke, wie ich früher über ihre vermeintliche Unfrisierbarkeit und Struppigkeit gemeckert habe. Wie viel lieber würde ich mich heute weiter darüber ärgern als mich mit der Frage zu beschäftigen, ob es jetzt wohl an der Zeit ist, die letzten Strähnen freiwillig zu entfernen. Ob es an der Zeit ist, mit dem Klammern aufzuhören, loszulassen. Ich habe die Idee dann frei zu sein. Frei von der Umständlichkeit permanent auf die Verdeckung zu achten. Je nach Situation auf die eine oder andere Art. Aber die Vorstellung es wirklich zu tun, tatsächlich den Rasierer anzusetzen, treibt mir immer noch die Tränen in die Augen. Weil ich tief in meinem Inneren glaube, dann erst recht nicht mehr schön zu sein.